das wilde Gänseblümchen  
und
der einsame Maulwurf

Petra Bleinagel

Der Tanz der Augen

Was waren eigentlich für die wilden Gänseblümchen die einsamen Maulwürfe?

Einsame Maulwürfe?

Für wilde Gänseblümchen waren einsame Maulwürfe wie das Schäfchenzählen vor dem Köpfchensenken. Sie waren langweilig, jedoch nicht so gefährlich wie die Schäfchen.

Und was waren die wilden Gänseblümchen für die einsamen Maulwürfe?

Die wilden Gänseblümchen waren Blümchen für das Ballett der Zukunft. Es galt sie zu erdulden, zu zähmen und im Laufe der Zeit in einen Blumentopf zu stecken, um sie mit verliebten Augen in einem sonst so dunklen und einsamen Maulwurfshügel anzugucken. Gänseblümchen beginnen in der Finsternis wie Kerzen zu leuchten und einsame Maulwürfe finden plötzlich im Schlaf ihre Träume von grünen Wiesen ohne Katzen.

Wie war die Liebe? Liebe? Was war das überhaupt?

Die wilden Gänseblümchen lernten schon früh von den stolzen, erwachsenen Rosen, die sehnsüchtig nach den Bienen ihre Köpfe streckten, um diesen ihre Liebesbriefe anzuvertrauen,, das Liebe pfui ist!

Und dann war es irgendwann beim wilden Gänseblümchen soweit:

ES WAR VERLIEBT!

Das älteste Vergissmeinnicht wollte das wilde Gänseblümchen lieber in die Erde einsperren als es über die aufkeimenden Gefühle im Köpfchen des wilden Gänseblümchen aufzuklären. Das alte Vergissmeinnicht hatte ganz vergessen, wie es in jungen Jahren an den Stacheln eines vorbeieilenden Igels hängen geblieben ist, um ihn einen flüchtigen Augenblick ganz nah zu sein und ihn mit dem Duft des Frühlings zu betören.

Und was hat das wilde Gänseblümchen getan?

Es hat geliebt! Und wie das wilde Gänseblümchen geliebt hat! Im Köpfchen geliebt und dabei hat es rote Blätter bekommen!

Im Herzen der Wüste

Das wilde Gänseblümchen war ein Blümchen, das den Kopf immer vor Verlegenheit gesenkt hielt, wenn es mal von einsamen Maulwürfen angesprochen wurde, während andere Blümchen ihre rotgeschminkten Blätter einsamen Maulwürfen entgegenstreckten, um nicht im Maul von einem Schaf zu enden.

Das wilde Gänseblümchen hatte Hemmungen, den Kopf zu heben und in das freundlich lächelnde Gesicht eines einsamen Maulwurfs zu blicken. Aber es geschah, so wie es von der Mutter Natur vorhergesagt wurde, dass das wilde Gänseblümchen das Herz verlor und von der Liebe träumte.

Es war der Tanz eines wilden Gänseblümchens, das endlich seiner Erde entfliehen wollte. Viele Maulwürfe standen vor dem wilden Gänseblümchen und stritten sich, wer von ihnen das wilde Gänseblümchen aus der Erde buddeln und in seinem Maulwurfhügel tragen durfte. Die einsamen Maulwürfen begannen sich mit der Zeit, sich gegenseitig mit kleinen Steinchen zu bewerfen. Sie waren genauso doof wie die Schäfchen, die sich um den Löwenzahn vor ihren Mäuler prügelten, obwohl er an anderen Stellen genauso gut schmeckte. Ein einsamer Maulwurf grub das erschrockene, wilde Gänseblümchen aus und trug es schnurstracks in seinem Maulwurfhügel, während sich die anderen immer noch nicht zu einigen wussten.

Das wilde Gänseblümchen zitterte, als der einsame Maulwurf nach seinem mageren Stängel die Hände ausstreckte. Warum hatte es nur keine Dornen wie die Rosen?

Plötzlich war alles dunkel. Dem kleinen Gänseblümchen war es schlecht. Doch dann spürte es etwas Feuchtes an der Wurzel. Der einsame Maulwurf begoss das wilde Gänseblümchen, das er in einem Blumentopf eingepflanzt hatte, mit kaltem Wasser aus einer unterirdischen Quelle.

Das wieder ins Leben zurückgeholte Blümchen war sehr traurig. Es vermisste die warme Sonne, das Zwitschern der streitsüchtigen Drosseln um einen fetten Regenwurm zum Frühstück und das Summen der Bienen, die Liebesbriefe von Blume zu Blume bringen durften.

Das Gänseblümchen zitterte. Es konnte nichts sehen. Es glaubte, auf einmal blind geworden zu sein. Die Dunkelheit hatte etwas einsames Bedrückendes an sich.

Im Sumpf der Gefühle

"Du, ich mag Dich!" hörte das ängstliche Gänseblümchen von irgendwoher zaghaft flüstern.

"Ich habe Dich gerochen und konnte Dich nicht vergessen!" sagte eine piepsige Stimme mit zwei Augen.

Das Gänseblümchen erkannte im Licht seiner weißen Blätterkrone die Gestalt eines Maulwurfs mit zwei großen Pfoten.

"Ich möchte so gern alles mit meinen Augen sehen können, was sich außerhalb meines Maulwurfhügels ereignet. Könntest Du mir beschreiben wie ein Baum aussieht? Ich bin blind sobald ich aus meinem Maulwurfhügel gucke!" seufzte der einsame Maulwurf.

"Wie hast Du dann zu mir finden können?" wollte das wilde Gänseblümchen wissen.

Der Maulwurf rümpfte die Nase: "Ich bin meiner Nase gefolgt. Sir hat mich zu Dir geführt, und ich musste schnell handeln, bevor mir Dich die anderen weggeschnappt hätten!"

Das Gänseblümchen bekam einen roten Kopf.

"Könntest Du Dir vorstellen, mir die Farben des Herbstes zu beschreiben, wenn ich Dich im Blumentopf nach draußen tragen würde?" fragte der Maulwurf ängstlich. "Jedoch müsstest Du mir genau sagen, wo ich langzugehen habe." gab der Maulwurf zu bedenken.

"Ich führe Dich gern, wenn ich nur wieder die Sonne sehen könnte!" jubilierte das Gänseblümchen. "Ich kann in Deinem Maulwurfhügel nichts mit meinen Augen sehen außer Dir, wenn Du Dich unter meiner Blätterkrone befindest!"

"Das habe ich nicht gewusst!" versuchte sich der Maulwurf zu entschuldigen. "Ich habe gedacht, jede Blume hätte auch ihren Erdhügel, in dem sie sich jederzeit zurückziehen kann, wenn sie einmal Ruhe braucht!"

Und so machte sich der nun nicht mehr einsame Maulwurf mit dem nicht mehr ganz so wilden Gänseblümchen auf den Weg, um die Natur ganz neu zu erfahren.

Auf der Schaukel der Gedanken

"Spürst Du den warmen Regen auf Deinem schwarzen Fell?" wollte das Gänseblümchen von dem aus der Puste gekommenen Maulwurf wissen.

"Ich brauche erst einmal eine Verschnaufpause. Für mich war der Weg zur Sonne mit einem Blumentopf in den Pfoten recht beschwerlich. Meine Pfoten benutze ich sonst zum Buddeln von Tunneln. Es fällt immer Erde in meine Tunnel zurück. Denn täglich entstehen neue Blumen, die ihre Wurzeln in meine Tunnel schlagen und so meine Tunnel mit neuer Erde füllen, so dass ich die Tunnel erst wieder freischaufeln muss, wenn ich nach draußen zur Sonne gelangen möchte!"

"Das habe ich nicht gewusst!" entschuldigte sich das Gänseblümchen. "Ich habe meine Wurzeln immer einfach ausgestreckt, ohne zu wissen, was ich eigentlich mit dem Wachstum meiner Wurzeln kaputt machen könnte."

"Es ist auch besser, nicht soviel darüber nachzudenken, was wir alles kaputt machen, wenn wir zu leben beginnen!" entgegnete der Maulwurf.

"Wie sieht eigentlich der Regen aus. Ich spüre ihn nur im Fell. Mal ist der Regen kalt oder er ist warm! flüsterte der Maulwurf.

Das Gänseblümchen runzelte die Blätter: "Regen besteht aus einzelnen Tropfen. Dort, wo sie mit anderen Gegenständen in Berührung kommen, hinterlassen sie dunkle Flecke. Die Regentropfen suchen sich und vereinigen sich schließlich wieder zu eine dicken, schwarzen Regewolke, die sie erneut abstößt. Wenn die Sonne auf den niederströmenden Regen ihre Strahlen richtet, erscheinen plötzlich Farben, wie sie die Blumen tragen. Dieser Augenblick der im Sonnenschein unantastbaren Farben hält kurz an und dann schleicht er sich heimlich weg!"

"Ich mag die Sonne nicht!" seufzte der Maulwurf mit hängenden Schultern. "Von mir aus könnte sich die Sonne immer hinter den Wolken verstecken!" Sie ist mir oft so heiß."

"Für mich ist die Sonne sehr wichtig, auch wenn meine Blätter manchmal braun werden." brüstete sich das Gänseblümchen im Blumentopf.

"Hast Du Dich genug vom Tunnelvorangraben ausgeruht? Ich möchte mit Dir noch soviel entdecken!" drängelte ungeduldig das Gänseblümchen.

Im Maul der Natur

Der Maulwurf krabbelte mit dem Gänseblümchen, das er auf seinem Rücken im Blumentopf lustig drauflosplappernd auszubalancieren versuchte, über Steine und saure Kräuter bis sie sich in einem dunklen Wald wiederfanden. Der Maulwurf war von dem langen Ausflug sehr müde. Er sehnte sich nach Ruhe und weichem Moos, auf dem er sich auszustrecken gedachte.

"Kannst Du auch mal Deine Blüten zusammenhalten und mit mir die Stille hier im Wald genießen?" fragte der Maulwurf das erschrockene Gänseblümchen.

"Aber Du wolltest doch, dass ich Dir Deine Augen ersetze und Dir alles beschreibe, was uns über den Weg krabbelt!" verteidigte sich das Gänseblümchen mit einer vorwurfvollen Stimme.

"Ich wusste nicht, dass es so schwierig werden würde, mit Hilfe von Deinen Augen ins Angesicht der buntgeschmückten Natur zu blicken und dabei den Überblick von Farben nicht zu verlieren. Obendrein beginnt mir mein Rücken wehzutun. Ich kann Dich nicht mehr tragen!" gestand der Maulwurf.

"Dann möchte ich auf der Stelle, dass Du mich von Deinem Rücken herunterholst. Mir ist schon ganz schwindelig vom Herumgehopse. Du bist ja noch schlimmer als ein Regenwurm bei der Futtersuche!" jammerte das Gänseblümchen und schon steckte das Gänseblümchen mit der weißen Blätterkrone im Sand.

"Ich sehne mich nach der Einsamkeit in meinem Maulwurfshügel zurück. Da konnte ich noch alles selbst entscheiden und ich war von keinem Gänseblümchen abhängig!" schniefte der verzweifelte Maulwurf und half dem Gänseblümchen beim Aufstehen.

"Wozu hast Du überhaupt Wurzeln; wenn Du sie nicht zum Laufen benutzt?" bohrte der Maulwurf.

"Hörst Du die Fledermäuse, wie sie über Dich lachen, nur weil Du nicht in der Lage bist, auf Deinen Wurzeln zu laufen? Aber zum Glück hast Du ja mich. Ich werde Dir schon beibringen, wie Du Dich außerhalb der Erde bewegen kannst, ohne dabei zu vertrocknen!" beflügelte sich der Maulwurf.

"Wie stellst Du Dir das denn vor? Warum soll ich als Gänseblümchen das Laufen lernen, wenn Du mich auf Deinen Pfoten durch die Welt trägst? Und außerdem: Pflanzen und laufen. Fange jetzt bitte nicht das Phantasieren an!"

In den Armen der Vernunft

Der Maulwurf buddelte das sich heftig wehrende Gänseblümchen aus der Erde du stellte es auf seine steifgewordenen Wurzeln. Das Gänseblümchen kippte nach hinten direkt in die Arme des Maulwurfs.

"Das versuchen wir gleich noch einmal!" spornte sich der Maulwurf selbst an.

So ging es Tag und Nacht weiter und wenn sie noch zusammen sind, versucht es der Maulwurf noch heute, das Gänseblümchen auf die Wurzeln zu helfen!

Heidelberg, 08. bis 21. Dezember 2000

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